Meditatives Gehen ist eine ideale Yoga-Übung, um höheres Bewusstsein in den Körper und die Materie zu bringen. Im ZEN-Buddhismus wird seit Jahrhunderten eine Gehmeditation praktiziert, welche KINHIN genannt wird. Sri Aurobindo pflegte über Jahre hinweg in seinen Räumlichkeiten täglich mehrere Stunden lang das Auf- und Abschreiten „für den Yoga“.
Nachstehend möchte ich eine Form des meditativen Gehens beschreiben, welche mein Lehrer Yogi Paramapadma Dhirananda in seinem Buch ‚Yogamrita‘ als Prāṇāyāma im Gehen bezeichnet hat.
Die unten stehenden Erläuterungen über Prāṇāyāma im Gehen sind dem Yogalehrbuch ‚Yogamrita‘ von Yogi Paramapadma Dhirananda entnommen. Das Buch, welches vom KRIYA-Verlag Jean-Pierre Wicht als Online-Publikation herausgegeben wurde, kann hier gratis als pdf-Datei heruntergeladen oder online gelesen werden.
Erklärung der Technik von Prāṇāyāma im Gehen
Siehe Buch ‚Yogamrita‘ auf Seite 156 f.
Suchen Sie zu nächst eine geeignete Wegstrecke für diese Übung. Diese sollte eben sein, frei von Staub und Rauch, von giftigen Abgasen sowie von vielem Verkehr, und sie sollte von Pflanzen und Bäumen um geben sein. Machen Sie jeden Morgen und Abend mit folgendem Atem und Zählrhythmus einen Spaziergang: Gehen Sie mit aufrechter Wirbelsäule drei Schritte vorwärts, atmen Sie gleichzeitig ein und zählen Sie bis drei. Bei den folgenden drei Schritten atmen Sie aus und zählen wiederum bis drei. Gehen Sie auf diese Weise drei Minuten lang, indem Sie die gleiche Zeit für Ein und Ausatmung aufwenden. Denken Sie immer daran, dass Sie sich der Atmung nicht er schöpft fühlen und dass Sie keinen Druck in Herz oder Lungen spüren sollten. Gehen Sie daraufhin drei Minuten bei normaler Atmung weiter. Dies ist eine Runde, bestehend aus drei Minuten Prāṇāyāma im Gehen und drei Minuten Spazieren bei normaler Atmung. Praktizieren Sie diese Übung auf diese Weise während drei bis vier Wochen, indem Sie anfänglich zwei Runden (= 12 Minuten) üben und allmählich auf drei Runden (dies entspricht 18 Minuten) steigern. Steigern Sie dann nach diesen drei bis vier Übungswochen jeweils das Ein/Atmungsverhältnis folgen der maßen*:
- 1. Steigerungsphase: 3 Schritte mit Einatmung, 5 Schritte mit Ausatmung (Verhältnis 3:5).
- 2. Steigerungsphase: 4 Schritte mit Einatmung, 6 Schritte mit Ausatmung (Verhältnis 4:6).
- 3. Steigerungsphase: 5 Schritte mit Einatmung, 8 Schritte mit Ausatmung (Verhältnis 5:8).
- 4. und weitere Steigerungsphasen: Wenn Ihnen das erreichte Ein/Ausatmungsverhältnis mühelos gelingt, so können Sie dieses allmählich auf 6:9, 7:10, 8:12, weiter auf 10:15 und schließlich auf 12:20 steigern.
* Jede Steigerungsphase umfasst einige Wochen, welche je nach Lungenkapazität, Kondition und Gesundheitszustand verschieden lang bemessen werden sollte.
Auch mit der Rundenanzahl können Sie langsam steigern, bis Sie 4 Runden (dies entspricht 24 Minuten) erreicht haben. Führen Sie Prāṇāyāma im Gehen nicht in Eile aus. Versuchen Sie auch nicht, zu schnell Fortschritte zu machen, sondern verändern Sie die Dauer der Übung und das Verhältnis von Ein und Ausatmung langsam, Ihren Möglichkeiten entsprechend.
Prāṇāyāma im Gehen als yogatherapeutische Massnahme
Yogi Paramapadma Dhirananda empfiehlt Prāṇāyāma im Gehen im Yogatherapie-Teil seines Buches Yogamrita (siehe auch Blog-Beitrag: Yogatherapie nach Paramapadma Dhirananda) bei folgenden Krankheiten und körperlichen Störungen (die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf das Buch ‚Yogamrita‘):
- Anämie (Seite 217)
- Asthma (Seite 218)
- Hoher Blutdruck (Seite 219 f.)
- Diabetes (Seite 221 f.)
- Gallensteine (Seite 222)
- Gelbsucht (Seite 222 f.)
- Grippe (Seite 223)
- Herzkrankheiten (Seite 224 f.)
- Impotenz (Seite 225 f.)
- Koronarsklerose (Verkalkung der Herzkranzgefässe, Seite 227)
- Krebs (Seite 227 f.)
- Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür (Seite 229)
- Menstruationsbeschwerden (Seite 230)
- Milz- und Leberkrankheiten (Seite 230 f.)
- Paralyse (Lähmung) -> falls das Gehen möglich ist (Seite 232)
- Pneumonie (Lungenentzündung, Seite 233)
- Prostata-Adenom oder -Hypertrophie (Prostatavergrösserung, Seite233 f.)
- Rheumatismus (Arthritis und Arthrose, Seite 234 f.)
- Sterilität und Unfruchtbarkeit (Seite 235)
- Syphilis (Seite 235 f.)
- Verlagerung des Uterus (Gebärmutter, Seite 237)
Sri Aurobindo und das meditative Gehen
Satprem schreibt in seinem Buch ‚Mutter oder der Göttliche Materialismus‘ auf Seite 232:
„ … Er [Sri Aurobindo] verrichtete seine Arbeit, ging auf und ab – acht Stunden am Tag, auf seiner Veranda, um das Bewusstsein in die Materie zu bringen. Er fand, dass das Gehen der Meditation Energie verlieh. Kurz, es war eine physische Meditation, die nach nichts aussah. Eine Meditation des Körpers. Gehen war ein Yoga, Essen war ein Yoga, alles war ein Yoga; das ganze Leben ist Yoga, lautete bald die Widmung zu seinem ersten Buch, die Synthese des Yoga.“